Von Herstellern beworben – von Trageberaterinnen verteufelt: Die Fronttrageweise. Ein Baby nach vorn gerichtet tragen – kann man das mit gutem Gewissen tun? Wir sagen nein.
Selbst die Tragen-Hersteller empfehlen eine Maximaldauer in dieser Trageweise von nur 10-20 Minuten, in vertrauter, reizarmer Umgebung. Warum ist die Frage um diese Trageposition dann so ein Dauerbrenner?
Jetzt wollen auch wir etwas dazu sagen. Denn viele Hersteller nutzen diese zusätzliche Trageposition gern als überzeugendes Verkaufsargument – unerfahrene Eltern greifen zu und denken, sie tun ihrem Kind etwas Gutes. Auch sieht man sogenanntes Facing Out gern in Amerikanischen Filmen oder Stars zeigen sich so mit ihren Babys und landen damit in der Klatschpresse.
Dass diese Trageposition aber sowohl für den Tragenden und noch viel mehr für das Baby eigentlich nur Nachteile hat, sieht auf den ersten Blick keine unerfahrene Mama. Sie sieht nur: Oh, so kann ich mein Kind auch tragen. Praktisch, da sieht es ja ganz viel von der Welt. Wenn andere das so machen, kann es für mein Kind ja nicht schlecht sein.
Aber ist das wirklich so? Wir schauen es uns genauer an.
Warum wollen Eltern ihr Baby überhaupt nach vorn gerichtet tragen?
Woher kommt dieser Wunsch?
Weil Eltern ihren Babys die Welt zeigen wollen und sie denken, dass ihr Schatz in dieser Position ganz viel Neues entdecken kann. Aber auch, weil sie es auf der Straße bei anderen Eltern sehen. Sogar in Filmen und Krankenhausserien. Weil große Firmen wie Baby Björn oder Ergobaby damit werben und ihre Tragehilfen dafür extra optimieren. Und natürlich auch, weil Verkäufer in der Tragehilfenabteilung diese zusätzliche Trageposition als Verkaufsargument nutzen.
Das sind vermutlich die Hauptgründe. Können wir auch verstehen.
Würden wir so gar nichts übers Tragen und den Körperbau eines Babys wissen, hätten wir es vielleicht auch in Betracht gezogen. Aber so ist es – zum Glück – nicht.
Warum wir zum Glück sagen? Lies weiter und wir verraten es dir!
6 Gründe gegen vorwärts gerichtetes Tragen
Wir können dem nach vorn gerichtetem Tragen einfach nichts positives abgewinnen. Überhaupt nichts – weder fürs Kind – noch für den Tragenden.
Here we go, das sind die 6 Gründe, die gegen die Fronttrageweise sprechen:
Grund 1: Entspricht nicht der natürlichen Körperform eines Babys und stützt nicht
Nach der Geburt kann dein Baby seinen Kopf noch nicht allein halten, dafür ist einfach noch keine Muskulatur da. Es braucht also ständig Unterstützung im oberen Rücken. Das liegt auch an der Form seiner Wirbelsäule. Denn Babys Rücken ist gerundet – wie ein C. Seine Wirbelsäule hat noch nicht die doppelte S-Form wie wir Erwachsenen.
Tragen soll doch den Körper deines Babys unterstützen und ihm helfen, sich gesund weiterzuentwickeln. Trägst du dein Baby mit dem Gesicht zu dir gewandt in einer geeigneten Tragehilfe oder in einem Tragetuch, unterstützt das die natürliche C-Form seines Rückens. Es kann sich außerdem schön an dich kuscheln.
Drehst du dein Baby allerdings um und trägst es nach vorn gerichtet, wird es durch sein schweres Köpfchen eher von dir weggezogen. Es baumelt mehr an dir – von einer guten Haltung oder Stützung keine Spur.
Nun könnte man die Tragehilfe zwar so festziehen, dass das Baby bis hoch zur Brust gestützt ist. So bliebe es aufrecht und der Kopf hinge nicht nach vorn. Allerdings wird der Oberkörper des Babys dann künstlich nach hinten gepresst: Das eigentlich nach vorn gekippte Becken, kippt nach hinten. Das Ergebnis: Die Wirbelsäule des Babys wird ins Hohlkreuz gezwungen. Das entspricht so gar nicht seiner natürlichen Körperform.
Noch dazu kommt, dass wir Erwachsenen auf unserer Vorderseite ja nicht gerade sind. Wir haben Rundungen. Das fühlt sich für ein Baby bestimmt ungefähr so an, als würde man uns einen Gymnastikball an den Rücken binden.
Grund 2: Schlecht für die Hüfte
Stichwort: Anhock-Spreiz-Haltung oder M-Position. Auch wenn es die Babytragenhersteller versuchen, aber eine für Babys Hüfte geeignete Haltung wird beim Facing-out-Tragen nie erreicht. Meistens hängen die Beine einfach gerade nach unten.
Und wenn doch eine leichte Anhockung erreicht wird – dann stehen die Beine vom Körper ab und hängen im Weg. Heißt: Verletzungsgefahr für dein Baby [dazu mehr in Grund 3].
Eigentlich soll das Tragen in einer Babytrage die Hüftreifung unterstützen. Denn durch die M-Position in einer Trage kann sich die Hüfte gesund weiterentwickeln – das Risiko für eine Hüftdysplasie ist geringer.
Das ist bei vorwärtsgerichtetem Tragen allerdings nicht der Fall. Tragehilfen, die das ermöglichen, haben meistens einen zu schmalen Steg (kurze Sitzbreite), wodurch überhaupt keine Anhockung möglich ist.
Ein Baby sitzt oder hängt so mit seinem ganzen Gewicht auf seinem Schambein. Kleine Jungs sogar direkt auf ihren Geschlechtsteilen. Angenehm ist das sicher nicht.
Grund 3: Verletzungsgefahr
Sollte die gewählte Tragehilfe zum vorwärtsgerichteten Tragen eine Anhockung erlauben – passiert was? Die Beine stehen vom Körper ab und hängen etwas nach vorn. Weg von deinem Körper. Das verlagert zum einen den Schwerpunkt deines Kindes noch mehr, wodurch du beim Tragen wieder in eine Ausgleichshaltung gehen musst. [Das soll das Tragen mit Tragehilfe ja eigentlich verhindern.]
Zum anderen sind die Beine deines Babys damit auch im Weg und bieten Angriffsfläche für vorbeigehende Passanten. Läufst du also zum Beispiel mit Baby vor der Brust nach vorn gerichtet durch eine volle Innenstadt, kannst du kaum verhindern, dass andere Leute an dein Kind drankommen.
Nicht jeder ist so rücksichtvoll und geht dir aus dem Weg. Vielleicht auch einfach, weil er es eilig hat und gar nicht sieht, dass da ein Baby vorn an dir dran baumelt. Da wird schnell mal ein Babybeinchen mitgenommen.
Grund 4: Es gibt keine Rückzugsmöglichkeit für dein Baby
Stichwort: Reizüberflutung!
Meistens das erste und häufigste Argument, wenn die Diskussion über nach vorn gerichtetes Tragen losgeht. Das können wir nur unterstreichen!
Es strömt extrem viel auf dein Kind ein, wenn es vorn an dir hängt, mit Blick in Gehrichtung. Noch dazu multipliziert sich deine Gehgeschwindigkeit mit der der entgegenkommenden Leute. Das sieht alles rasend schnell für dein Baby aus.
Außerdem befindet sich dein Baby in dieser Trageposition voll auf dem Präsentierteller. Es kann sich gar nicht zurückziehen, wenn ihm etwas zu laut, zu nah oder einfach zu viel ist. Und dann gibt’s ja noch die Leute ohne Distanzgefühl. Wie schnell landet da eine fremde Hand im Gesicht und streicht deinem Kind über die Wange, weil es ja sooo süß aussieht.
Grund 5: So toll ist die Aussicht gar nicht
Dem Kind auf diese Weise ganz viel von der Welt zu zeigen, ist so leider wirklich nicht möglich.
Der Tragenhersteller Buzzidil aus Österreich hat ein sehr schönes Experiment gemacht: Sie haben eine Tragepuppe mit Stirnkamera nach vorn gerichtet in eine Trage gesteckt und gefilmt, was ein Baby wirklich sieht, wenn es so getragen wird.
Ein Video sagt in dem Fall mehr als tausend Worte. Sieh selbst:
Grund 6: Unbequem und unergonomisch für den Tragenden
Eins der Hauptargumente für das Tragen mit Tragehilfe ist, dass du dadurch rückenschonend, also bequem und ergonomisch tragen kannst.
Ein Baby nach vorn gerichtet tragen bedeutet jedoch wieder, auf den bequemen, ergonomischen Teil des Tragens zu verzichten. Wie blöd ist das denn?
Wie oben schon einmal erwähnt, verlagert sich der Schwerpunkt deines Babys bei dieser Trageposition. Denn seine Beine und auch sein Kopf hängen eher nach vorn, also von dir weg. Du gleichst das aus, indem du ins Hohlkreuz gehst. Eine Belastung für deinen Rücken – aber auch für deinen Beckenboden.
Hinzu kommt, dass die Tragen-Hersteller das vorwärtsgerichtete Tragen ja nicht für Neugeborene empfehlen – das wärs ja noch – sondern ungefähr ab dem 5./6. Monat. Das heißt allerdings: Noch mehr Gewicht, dass man ausgleichen muss, weil es schlecht am Körper verteilt ist.
Baby nach vorn gerichtet tragen – diese 2 gesunden Alternativen gibt’s
Okay, wir denken, wir haben unsere Abneigung gegen die Fronttrageweise ausreichend deutlich gemacht.
- Was ist jetzt also die Lösung, wenn du trotzdem den Wunsch hast, deinem Kind beim Tragen mehr als dein Gesicht und deinen Hals zu zeigen?
- Wenn du deinem Kind eine neue Perspektive bieten möchtest, weil es sich nur noch in der Trage überstreckt, versucht sich umzudrehen und mehr zu sehen?
Hier kommen zwei physiologische und ergonomische Trageweisen, bei denen dein Kind trotzdem nach vorn schauen kann:
Alternative Numero Uno: Baby auf dem Rücken tragen.
- So guckt es trotzdem in die gleiche Richtung wie du – aber ganz ohne Reizüberflutung und Verletzungsgefahr.
- Es kann sich jederzeit an dir zurückziehen, es sieht dich und ist nicht auf dem Präsentierteller.
- Perfekt für Unterwegs.
- Auf dem Rücken tragen geht eigentlich mit fast jeder Trage – mit Tuch sowieso.
- Alle Vorteile und hilfreiche Tipps zum Rückentragen gibt’s in diesem umfangreichen Extra-Beitrag
Alternative Nummer zwei: Baby auf der Seite tragen.
- Schon gewusst: Wenn wir ein Kind hochnehmen, dann setzen wir es doch meistens automatisch auf unsere Hüfte. Es klammert auch automatisch seine Beine um uns – ganz natürlich. Weil die Form unserer Hüfte einfach perfekt dafür gemacht ist.
- Auf der Seite hat dein Kind einen guten Rundumblick
- Es ist dir trotzdem zugewandt und kann sich jederzeit an dich kuscheln
- Perfekt für das ständige rauf, runter, rauf, runter Spiel – sehr praktisch dafür: ein Ringsling
- Richtig bequem auf der Seite Tragen geht aber auch mit WrapConversion
Noch ein letzter, persönlicher Grund für die Abneigung gegen die Fronttrageweise
Es funktioniert nicht mit einer Tragejacke.
Okay, es sei denn, man lässt das Baby wirklich ganz kerzengerade in der Trage an einem herunterhängen. Dann würde der Reißverschluss schon noch zugehen. Aber bitte: Tu. Es. Nicht. Wenn du bis hierhin aufmerksam gelesen hast, sollte dir klar sein, warum.
Also, streichen wir diese Trageweise bitte aus unseren Köpfen. Lasst uns die so viel besseren Alternativen – Tragen auf der Seite und Tragen auf dem Rücken – nutzen.
Tschau, Fronttrageweise, und auf nimmer Wiedersehen.