Ach ja, die guten alten Ammenmärchen rund ums Tragen. Haben wir sie nicht alle satt?
Jaaa, mein Baby lernt genauso laufen wie andere Kinder – auch wenn ich es in einer Babytrage trage.
Hast du diesen Satz auch schon mal gedacht oder sogar laut ausgesprochen, als ein unqualifizierter Kommentar zum Tragen abgegeben wurde?
Sätze wie: “Der lernt doch nie laufen, wenn du ihn die ganze Zeit herumschleppst!” werden leider immer noch bei uns Tragemamas platziert. Solche Ammenmärchen halten sich seit vielen Jahren hartnäckig. Und es gibt sie zu Hauf.
Das soll endlich aufhören!
Schauen wir uns in diesem Artikel [Ammenmrächen Teil 1] das Thema Laufen lernen und Tragen an. Oder wissenschaftlicher ausgedrückt: Die motorische Entwicklung eines Kindes und ob sie durchs Tragen gebremst wird.
Spoiler: Nein, wird sie nicht. Sowas von nicht.
Trage-Ammenmärchen #1: Dein Kind lernt doch nie laufen!
Zuallererst möchte ich mal folgendes in den Raum werfen:
- Wo auf dieser Welt gibt es bitte einen belegten negativen Zusammenhang zwischen getragenen Kindern und dem Laufen lernen?
- Soll heißen: Wie entstand dieses Ammenmärchen überhaupt?
- Hat dazu mal irgendjemand eine Studie gemacht und herausgefunden, dass getragene Babys tatsächlich viel später und schlechter laufen lernen als nicht getragene?
- Diese Studie will ich aber sehen. Und mein Tragekind, dass mit 9 Monaten am liebsten nur an meinen Händen LAUFEND die Welt entdecken wollte, sicher auch. Du auch? Dann sind wir ja schon drei.
Eine Mama, die ihr Baby im Kinderwagen schiebt, wird doch auch nicht gefragt, ob sie nicht Angst hätte, dass ihr liegendes oder sitzendes Kind je laufen können wird.
Woher kommt dieses Ammenmärchen?
Es kommt uns westlichen Menschen scheinbar natürlich vor, zu schieben. Macht das doch ein viel größerer Teil der Menschheit (in der westlichen Welt). Und gefühlt schon immer. Es ist uns vertraut, Babys liegend zu sehen. So gehört sich das. Das haben wir früher schon so gemacht. Und immerhin haben diese Kinder doch alle irgendwann laufen gelernt.
Aufrecht und tragend am Körper…uh, das ist komisch, das kenne ich nicht. Das kann doch nicht gut fürs Kind sein. Ja, ja.
- Dass Babys jedoch schon seit Anbeginn der Zeit am Körper getragen werden, spielt für Leute, die solche Sätze heraushauen, wahrscheinlich kein Rolle.
- Und darüber, dass solche Sätze eine noch unsichere Mama echt treffen können, wenn sie den ersten Tragespaziergang mit ihrem Baby macht, wird wahrscheinlich gar nicht nachgedacht. [Oder doch, aber man macht es trotzdem? Nobody knows.]
Warum sagen die Leute sowas?
Ich denke, weil sie es einfach nicht wissen. Diese Leute, die gern Kommentare geben. Unwissenheit ist hier meiner Meinung nach auch die einzig logische und überhaupt zulässige Erklärung für solch eine ungefilterte, UNBELEGTE Phrase.
Was können wir gegen diese Ammenmärchen tun?
Ich meine, was können wir machen, dass sich Sätze wie “der lernt doch nie laufen” oder “du verwöhnst ihn viel zu sehr” [übrigens mein Favorit] endlich keine Mama mehr anhören muss?
Aufklären? Oder lieber keine Energie verschwenden und einfach ignorieren? Du kannst bei diesen Sätzen jedes Mal wählen zwischen Diskussion und Rechtfertigung fürs Tragen oder Ignorieren.
Wir von Viva la Mama wollen mithelfen und aufklären. Und wir wollen dich unterstützen, wenn du in die Diskussion gehen möchtest. Wenn du diese Aussagen auch klein reden möchtest, damit diese schädlichen Ammenmärchen endlich ausgeräuchert werden. Also los, wir liefern dir und allen Kommentargebern da draußen jetzt mal ein paar Argumente gegen die Aussage: Dein Kind lernt doch nie laufen.
Gegenargumente: Warum auch Tragekinder laufen lernen
Um Laufen zu lernen, braucht ein Kind nicht nur eine Motivation. Also nicht nur ein Ziel, auf das es zulaufen möchte.
Es braucht so viel mehr: Zum einen motorische Zentren im Gehirn, die die richtigen Befehle an die Muskeln weitergeben. Wobei wir bei der nächsten Voraussetzung wären: Man braucht Muskeln.
Aber nicht nur Muskeln. Auch Stabilität: Ein gutes Gleichgewicht gehört ebenfalls dazu, sonst können keine Bewegungen ausgeglichen werden. Und damit man überhaupt etwas bewegen kann, muss man wissen, dass es zum eigenen Körper gehört. Für uns Erwachsene selbstverständlich – für ein Baby noch Neuland.
Laufen lernen ist vorprogrammiert
Bewegungsentwicklung kann nicht unterdrückt werden
Wie schnell und wann ein ein Kind laufen lernt, das entscheidet, wann es dazu körperlich und geistig in der Lage ist.
Fakt ist, man kann die Bewegungsmotivation eines Babys nicht aufhalten. [Hast du schon mal versucht, ein ca. 9 Monate altes Baby zu windeln? Blieb es dabei ruhig auf dem Rücken liegen? Wohl eher nicht.]
Man kann die Bewegungsentwicklung auch nicht künstlich beschleunigen – ABER man kann die Grundvoraussetzungen fürs Laufen lernen [also Körpergefühl, Muskulatur und Gleichgewicht] schulen. Und Tragen ist dafür sogar ein hervorragendes Mittel.
Warum?
Tragen lässt Babys den eigenen Körper spüren
Laufen lernen hat etwas mit Körpergefühl zu tun
Um den eigenen Körper bewegen zu können [Arm heben oder einen Fuß vor den anderen setzen] muss erst das Bewusstsein da sein, dass dieser Arm oder diese Füße zum eigenen Körper gehören.
Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber ein Baby hat dieses Körpergefühl anfangs noch nicht. Ein Baby kennt kein Ich-Gefühl. Dieses entwickelt sich erst mit der Zeit. Anfangs spürt es nur Grundbedürfnisse und weiß noch nicht, dass es ein eigener Mensch ist.
Um ein Gefühl für den eigenen Körper zu bekommen, muss ein Baby lernen, wo sein Körper anfängt und wo er aufhört. Da kommt das Tragen ins Spiel.
Beim Tragen im Tuch oder einer Tragehilfe spürt ein Baby permanent eine Begrenzung. Die angenehme Enge hilft dabei, ein Gefühl für denen eigenen Körper zu bekommen. Durch diesen leichten Druck spürt ein Baby also seine Körpergrenzen.
Körpergefühl aufbauen – CHECK.
Tragen stärkt Babys Muskulatur
Zum Laufen braucht man Muskeln und Gleichgewicht
Ohne Muskeln, Körperspannung und Gleichgewicht geht gar nichts.
Das weiß jeder, der schon mal wochenlang Liegen musste, sich nicht bewegen durfte oder konnte. Muskeln bauen sich ab und man ist beim ersten Aufstehen total wacklig auf den Beinen. Bewegungsabläufe müssen teilweise neu erlernt und Muskeln wieder aufgebaut werden.
Beim Tragen ist die Mama oder der Papa ständig in Bewegung. Eng an einen Tragenden gekuschelt nimmt ein Baby all diese Bewegungen wahr. Auch jeden Atemzug, Herzschlag und den Rhythmus der Bewegungen. Wie auch schon im Bauch während der Schwangerschaft.
“Sein Gehirn registriert jeden Bewegungsimpuls, verarbeitet ihn und leitet kleinste Gleichgewichtsreaktionen (=Ausgleichsbewegungen) ein. Jeder Schritt der Mutter führt also zu minimalen Muskelanspannungen im Körper des Kindes. Das trainiert die Muskulatur und schult das Gleichgewicht. Zwei wichtige Grundvoraussetzungen für eine eigene Bewegung.” (mein-tragekind.de)
Motorisches Zentrum im Gehirn schulen & Muskeln und Gleichgewicht aufbauen – CHECK.
Warum sollte ein Baby im Kinderwagen schneller laufen lernen?
Keine Ahnung. Und die, die dieses Ammenmärchen heraushauen wahrscheinlich auch nicht.
Wie stärkt denn ein Kinderwagen überhaupt Babys Körpergefühl? Durch eine schwere Decke? Wie baut ein Kind im Buggy Muskulatur auf? Beim Fahren über eine Huckelpiste? Wie lernt es darin Gleichgeweicht zu halten? Wie in aller Welt stärkt ein Kinderwagen die Grundvoraussetzungen fürs Laufen (besser als das Tragen)?
Das nächste Mal, wenn wir uns dieses Ammenmärchen anhören müssen, sollten wir diese Gegenfragen stellen. Die hätte ich nämlich gern mal beantwortet.
Okay, lassen wir’s dabei. Das war Ammenmärchen #1. Das nächste Mal geht’s um “Verwöhnen durchs Tragen”. Herrlich – ich freue mich jetzt schon darauf.
Eure Isabel
Viva la Mama Shop Managerin und Zertifizierte Trageberaterin